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Alexander Stannigel www.alexander-stannigel.eu Bundestagswahl 2013: Gedanken

Wahl zum 18. Deutschen Bundestag Gedanken zur Wahl

Inhalt

Nach diesem bisher merkwürdigsten aller Wahlkämpfe haben wir nach der Wahl eine der eigenartigsten Ausgangslagen überhaupt: Der Union ist der «natürliche» Koalitionspartner abhanden gekommen, so dass sie trotz sehr gutem Ergebnis nicht unbedingt aus einer Position der Stärke gegenüber SPD und Grünen auftreten kann.

Die schräge Kampagne, die zum Wählen aufrief und quer durch alle Medien ging, hatte genau keinen Erfolg. Die Wahlbeteilung stagnierte mehr oder weniger auf erbärmlichen Niveau. Dafür landeten 7 000 000 (in Worten: SIEBEN MILLIONEN) Stimmen im Papierkorb — fast 16 Prozent der abgegebenen Stimmen werden im neuen Bundestag nicht vertreten sein.

Farbenspiele

Schwarz

CDU und CSU gingen mit ihrem Führerinnenkult völlig themenbefreit in den Wahlkampf und sind damit erstaunlicherweise bei den Medien und den Wählern sehr gut gefahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel musste nur oft genug «Uns geht es doch gut.» sagen — auch wenn dies für fast ein Drittel der Bevölkerung nicht bis gar nicht zutrifft. Sofort widersprochen hat ihr öffentlich niemand.

Gegen Ende des Wahlkampfs kam dann neben «Sie kennen mich.» und den Null-Aussage/Nonsens-Sprüchen noch ein anderer Punkt auf: Das Angst-schüren vor Rot-Rot-Grün. Denn wir wissen ja alle, dass wenn das passiert, dann wird die Bundesrepublik direkt von Moskau oder Peking aus regiert!

Selbst der unsägliche Vorwurf von Angela Merkel in einer TV-Dokumentation — der also kein Lapsus, sondern boshaftes Kalkül war — an die SPD europapolitisch unzuverlässig zu sein, schadete ihr nicht im Geringsten. Dass er unberechtigt war, da gerade die SPD ihr in den wichtigen Abstimmungen immer die Mehrheit sicherte, als die Kanzlerin in ihrer eigenen Partei keine hatte, das versteckten die Medien lieber in Nebensätzen.

Rot

Die SPD hat die Wahl schon zwei Jahre zuvor verloren: Seit 2011 waren sich die großen Medien in Deutschland einig, was Peer Steinbrück angeht: «Er kann Kanzler.» liesen sie Helmut Schmidt und Theo Waigel verkünden.

Als die SPD sich schließlich diesem Druck gebeugt und ihn zum Kanzlerkandidaten gekürt hatte, kehrte sich die Stimmungslage schlagartig: Plötzlich hüpfte er von einem Fettnäpfchen ins nächste, obwohl er an seinem Auftreten genau nichts änderte. Die künstliche Aufregung um die Stinkefinger-Geste aus dem SZ-Magazin in der Woche vor der Wahl war der beste Beweis. Dass die besondere Interview-Form der Reihe «Sagen Sie nichts» nur Gesten als Antworten zulässt und die Frage lautete «Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi - um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?» stand wiedermal nur im Nebensatz.

Nach der Wahl verkündeten die Politanalysten: «Der Linksruck der SPD ist gescheitert.» Nach dem Warum fragte allerdings niemand. Vielleicht weil Ziele wie Mindestlohn und Steuerhöhungen für Besserverdienende mit einem Kandidaten Steinbrück, der als Verfechter der Agenda 2010 eher für eine gegenteilige Politik steht, unglaubwürdig sind? Im Englischen gibt es das schöne Sprichwort: «Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me.»

Grün

Der Wahlkampf der Grünen war vom Steuermodell und vom Veggie-Day geprägt … könnte man meinen. Dass der Vorschlag bereits vor drei Jahren beschlossen wurde und einzig BILD ihn erst kurz vor der Wahl entdeckte, stand nirgends. Auch nicht, dass die irrenführenden Kommentare ungeprüft von der Deutschen Presseagentur übernommen wurden und damit Einzug in die hiesige Medienlandschaft fanden, wo sie von Union und FDP natürlich gerne aufgenommen wurden.

Das Steuerprogramm der Grünen sah' vor, Einkommen von über 70.000 oder 80.000 Euro im Jahr etwas stärker zu besteuern und die enorme Einkommensschere wenigstens etwas aufzuhalten. Durch die faktenbefreite, dafür aber permanent wiederholte Behauptung von Union, FDP und Medien, dass das vor allem zu Lasten der Mittelschicht und des Mittelstandes geschähe wurde diese Modell in den Boden geschrieben bzw. gesendet. Und wir alle wissen ja, dass Mittelständler fast überall Gehälter im sechsstelligen Bereich zahlen!

Wie in den letzten Wochen noch mit den Pädophilie-Verirrungen aus der Anfangszeit der Grünen versucht wurde Stimmung zu machen, war an Ekelhaftigkeit kaum zu überbieten. In der Gründungsphase einer Partei tritt man sich halt auch eine Reihe Leute ein, die man erst wieder aussortieren muss. Dass die Aufarbeitung von Seiten der Grünen glaubwürdig war, wurde in den Schlagzeilen verschwiegen und nur in Hintergrundberichten publiziert.

Spannend wird zu sehen sein, wie die Grünen-Führung sich entwickelt. Es gibt ja einige Stimmen, gerade aus Baden-Württemberg, dass bei der Bundestagswahl auch wieder auf Normalmaß geschrumpft ist, die die Partei weiter rechts im politischen Spektrum platzieren wollen. Ökologisch, aber unbedingt wirtschaftsfreundlich. Quasi eine FDP mit grünem Anstrich.

Geld

Mit ihrer einseitigen Politik für Großunternehmen, Besser- und Bestverdienende ist die FDP endgültig baden gegangen. Der Nachfrage nach einer Bürgerrechtspartei in Deutschland, die die FDP vor vielen Jahren einmal war, hat sie kein entsprechendes Angebot gegenüber gestellt.

Dunkelrot

Erst hat man es jahrelang mit Diffamierungen versucht, schließlich mit Ignorieren. Doch die Ziele der Linkspartei erhalten weiterhin Zuspruch. Das Sozialstaatsmodell ist kein Auslaufmodell. Es ist ja auch irgendwie merkwürdig, dass Sarah Wagenknecht seit einigen Jahren Ludwig Erhard — den Wirtschaftswunder-Minister der CDU — zitiert und die Union und FDP von heute darauf nur noch mit «Kommunismus!»-Rufen reagieren.

Die Linke ist ebenso der einzige Vertreter der Gegner der Austeritätspolitik, die die durch die Finanzkrise gebeutelten südeuropäischen Staaten, immer weiter in den Ruin treibt. Gregor Gysis Reden in den letzten fünf Jahren zur Finanzkrise und zur Vergesellschaftung deren Auswirkungen durch die Bundesregierung lassen sich immer wahrheitsgemäß mit «Hab' ich euch doch gleich gesagt!» zusammenfassen.

Orange

Auch die Piratenpartei hat es nicht geschaft, die Nachfrage nach einer Bürgerrechtspartei zu befriedigen, obwohl dies eigentlich Kernthema der Partei hätte sein sollen.

Man hat es nicht geschafft, aus dem Zuspruch der Medien nach den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin anno 2011, langfristiges Kapital zu schlagen. Nach weiteren erfolgreichen Landtagswahlen übernahmen immer Gestalten die Führung, die eigene Publikationen in den Mittelpunkt rücken oder anderweitig persönliche Eitelkeiten befriedigen wollten.

So hat man, statt mit einer offensiven Öffentlichkeitsarbeit — Pressemitteilungen zu aktuellen Themen mit knackigen, vielleicht übertriebenen, aber schlagzeilenträchtigen Formulierungen, für die die Medien immer dankbar sind — im Gespräch zu bleiben, sich lieber in Gendersprach-Debatten und weiteren Nebenschauplätzen erschöpft.

Dunkelblau

Eine Alternative für Deutschland will die neue Partei im politischen Spektrum Deutschlands sein, die nur wenige Stimmen hinter der FDP landete. Mit ihrer merkwürdigen Mischung aus Marktfundamentalisten und Rechtspopulisten/Feierabendnazis bilden sie so etwas wie eine deutsche «Tea-Party».

Deren vier Dutzend Pendants im Repräsentantenhaus — bei 435 Abgeordneten — nehmen gerade mit einem «Government Shutdown» die gesamten USA in Geiselhaft. Wenn die AfD-Wähler wüssten, was sie da gewählt haben…

Mehrheiten

Wie bereits 1998, 2002 und 2005 gibt es eine linke Mehrheit im Parlament — die SPD-Basis liegt der Stimmung nach ja immer noch links der Union im Gegensatz zur Parteiführung. Die Linke hat bereits angeboten noch unter der geschäftsführenden Schwarz-Gelden Regierung einige Kernziele aus dem SPD-Wahlkampf, z.B. den Mindestlohn, mit dieser Mehrheit in Gesetzesform durch Bundestag und Bundesrat zu bringen.

Absurderweise hat SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil dies als «parteitaktisches Manöver» abgelehnt. Das er es ist, der hier parteitaktisch argumentiert bekommt er offenbar gar nicht mit.

Warum nicht mal was anderes?

Das Prinzip der Minderheitsregierung funktioniert in der skandinavischen Ländern seit Jahrzehnten sehr gut. Für die deutsche Politik- und Medienlandschaften würde das aber natürlich erstmal eine entscheidende Umstellung bedeuten: Weg von der Parteitaktik, hin zu Inhalten. Eine SPD-geführte Regierung könnte auf diese Weise Themengetrieben mit der Union und der Linken zusammenarbeiten.

Gäbe es in der SPD-Führung genügend schlaue Leute, würde man im Bund und in Hessen eine rot-grüne Minderheitsregierung bilden und mit Tolerierung der Linken den Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten stellen — wie immer die dann auch heißen mögen. Die Grünen haben sich ein solches Modell nie von Medien und den sogenannten «bürgerlichen» Parteien ausreden lassen.

Und durch eben ein solches Modell ist ja Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen — nach Aufforderung durch die Parteibasis — Ministerpräsidentin einer Rot-Grünen Minderheitsregierung geworden. Nach den vorgezogenen Neuwahlen zwei Jahre später gab's sogar wieder eine eigenen Rot-Grüne Mehrheit.

Die nächsten Landstagswahlen stehen erst im Herbst 2014 in Sachsen — momentan von einer Schwarz-Gelden Koalition geführt, die vermutlich genauso ausgehen wird, wie jene in Bayern eine Woche vor der Bundestagswahl —, Thüringen (Schwarz-Rot) und Brandenburg (Rot-Rot) an. 2015 wird nur im Frühjahr in Hamburg und Bremen gewählt.

Anderthalb Jahre und je nach Ausgang 2014 sogar zweieinhalb Jahre könnte die SPD also sozialdemokratische Politik machen, ohne die Opposition im Bundesrat fürchten zu müssen. Nur dieses Mal MÜSSTE sie das auch durchziehen und nicht auf einmal Schwarz-Gelbe Politik mit anderem Anstrich wie von 1998 bis 2005 machen. Mit der Linken gäbe es ein wirksames Korrektiv, wenn man nicht bei zu vielen Themen auf einzelne Unionsstimmen angewiesen sein möchte.

Bleibt die einzige Frage: Geht's der Parteiführung im Willy-Brandt-Haus um die Verwirklichung sozialdemokratischer Ziele, oder doch nur um Postenversorgung in Ministerien und Verwaltungen für die eigenen Freunde?

Weitere Informationen finden Sie unter anderem beim Bundeswahlleiter und im Wahlarchiv der Tagesschau.