Alexander Stannigel www.alexander-stannigel.eu
Alexander Stannigel www.alexander-stannigel.eu Geschichte der Formel 1: Die 70er

Geschichte der Formel 1 Die 70er

Letzte Änderung: Oktober 2002
Diese Artikelserie stammt von DailyF1

Noch bis Ende 1969 hatten alle seit 1950 gebauten F1-Rennwagen eines gemeinsam - den zentralen Lufteinlass am Wagenbug, der den Motor mit Atem- und/oder Kühlluft versorgte. Diese Bauart bestimmte das Aussehen eines klassischen F1-Boliden. Alternativen schienen nicht zu existieren.

Dann war es abermals das Konstrukteursgenie Colin Chapman, der Neuland betrat. Bereits zu Beginn der 60'er-Jahre hatte er die bis heute unverzichtbare Monocoque-Bauweise kreiert. Beim Bau seines neuen Lotus 72 verzichtete der Ingenieur und Teamchef völlig auf die aerodynamisch störende Öffnung. Chapman legte den Bug als geschlossenen Keil aus. Die Kühler verschwanden in den als Seitenkästen ausgebauten Flanken. Dank dieser wegweisenden Erfindung fuhr der Lotus 72 auf langen Geraden bei gleicher Motorleistung 14 km/h schneller als der Vorgänger Typ 49C. Weitere Merkmale des Boliden: Torsionsstabfederung und innenliegende Bremsen. Mit der Federungstechnik wurde ein Gedanke des legendären Prof. Ferdinand Porsche aus den 30'er-Jahren aufgegriffen. Die Verlagerung der Bremsen nach innen - ebenfalls keine Lotus-Erfindung - diente der Reduzierung der ungefederten Massen und damit der Optimierung der Straßenlage.

Jochen Rindt (vorne) holte sich posthum den WM-Titel der Saison 1970. Jochen Rindt (vorne) holte sich posthum den WM-Titel der Saison 1970.

Der Großvater aller modernen Monoposti debütierte 1970 in Madrid anlässlich des Grand Prix von Spanien, aber noch litt die Konstruktion an Kinderkrankheiten und war nicht siegfähig. Drei Wochen später, der WM-Lauf in Monaco stand auf dem Programm, stieg Lotus-Star Jochen Rindt deshalb sogar freiwillig zurück in den 49C. Mit dieser Entscheidung legte der Österreicher den Grundstein für den Gewinn der Weltmeisterschaft.

Zunächst stand das Rennen in Monaco ganz im Zeichen von Jack Brabham, dem Champion der Jahre 1959, 1960 und 1966. Der Australier bestritt die letzte Saison seiner Karriere und war trotz seiner 44 Jahre in bestechender Form. Bei Halbzeit führte der Altmeister und fuhr einem scheinbar sicheren Sieg entgegen. Rindt, am Steuer des Museums-Lotus, fehlten bereits mehr als 15 Sekunden auf den Mann vom fünften Kontinent. Dann begann der Lotus-Fahrer über sich selbst hinauszuwachsen: Bis zehn Runden vor der Zieldurchfahrt schmolz sein Rückstand nur in kleinen Häppchen. 11.5 Sekunden trennten ihn jetzt vom Spitzenreiter. Im Verlauf der folgenden neun Umläufe kämpfte er sich um weitere zehn Sekunden heran. Trotzdem schien Brabhams Sieg ungefährdet. Den Lotus des Österreichers formatfüllend in den Rückspiegeln, wollte der Routinier in der letzten Runde ganz besonders clever vorgehen: Brabham wählte die Kampflinie, um Rindt ein Ausbremsmanöver unmöglich zu machen, aber abseits der Ideallinie mit der Gummispur verlor der alte Haudegen die Kontrolle über seinen Boliden und rutschte in die Strohballen der Streckenbegrenzung. Rindt schlüpfte innen durch und gewann. Der auf das Auftauchen Brabhams fixierte Rennleiter vergaß sogar, den Überraschungssieger abzuwinken...

Erst in Zandvoort kletterte Rindt wieder in den futuristischen Lotus 72. Jetzt ließ sich das Potential der Konstruktion endlich wecken. Rindt siegte und anschließend kassierte der neue Superstar auch in Frankreich, England und Deutschland die volle Punktzahl. Ausgerechnet in seiner Wahlheimat Österreich, wo erstmals seit 1964 ein WM-Grand-Prix ausgetragen wurde, riss die Serie: Wegen eines Motorschadens kam Rindt nicht ins Ziel. Niemand konnte ahnen, dass er nie mehr starten würde. Im Abschlusstraining für den Grand Prix von Italien brach auf der Anfahrt zur Parabolica die vordere rechte Bremswelle. Am Steuer von Chassis Nummer zwei, dem Erfolgsauto der glücklichen Sommermonate, knallte der Pilot in die Leitplanken und zog sich tödliche Verletzungen zu. Sein Punktevorsprung konnte aber bis Saisonende von keinem Konkurrenten mehr eingeholt werden, und so wurde Jochen Rindt als erster und bis heute einziger F1-Rennfahrer posthum zum Champion erklärt.

Drei Titel für Österreich in den 70'ern - zwei davon steuerte Niki Lauda bei. Drei Titel für Österreich in den 70'ern - zwei davon steuerte Niki Lauda bei.

Nur ein Jahr später zog Colin Chapman eine weitere technische Sensation aus dem Ärmel. Anders als der Typ 72, der in seiner D-Version bis 1974 siegfähig bleiben sollte, präsentierte der Lotus-Boss diesmal einen Flop: In Zandvoort, Silverstone und Monza setzte Chapman je einen Lotus 56B ein. Dabei handelte es sich um eine Weiterentwicklung des Indy-Autos vom Jahrgang 1968. Das Besondere der Konstruktion: Sie wurde nicht von einem herkömmlichen Saugmotor angetrieben, sondern von einer Zweiwellen-Gasturbine, Marke Pratt & Whitney - ursprünglich für den Antrieb von Schiffen, Lokomotiven und Helikoptern konstruiert. Jochen Rindt hatte sich für das Projekt stark gemacht, doch weder Dave Walker, noch Reine Wisell oder Emerson Fittipaldi, die nacheinander das zweifelhafte Vergnügen hatten, kamen mit dem kraftvollen Monster klar. Mit einem Kraftstoffverbrauch von 100 Litern auf 100 Kilometern erwies sich der nahezu lautlose PS-Protz als außergewöhnlich durstig. Der Vierradantrieb und die wegen der Baulänge der Turbine weit nach vorn verlagerte Sitzposition waren gewöhnungsbedürftig. Schlimmer noch: Die Power setzte mit Verzögerung ein. Dieser Nachteil verlangte von den Piloten außerordentliches Geschick. Bereits in der Bremszone musste das Gaspedal getreten werden, um am Kurvenausgang die gewünschte Beschleunigung zu erzielen. Falsches Timing endete mit einem Abflug oder grausamem Bummeltempo jenseits des Kurvenscheitelpunktes.

Rindts Nachfolger wurde der schottische Tyrrell-Fahrer Jackie Stewart, der schon 1969 Weltmeister geworden war. Dann kam wieder Lotus an die Reihe: Immer noch setzte der Rennstall auf den Typ 72, der jetzt erfolgreich von Emerson Fittipaldi pilotiert wurde. 1973 war erneut - zum dritten und letzten Mal - der große Jackie Stewart am Zug. Schon früh im Jahr teilte er seinem Boss Ken Tyrrell vertraulich mit, dass er seine Karriere nach Saisonschluss beenden werde. Zu diesem Zeitpunkt würde er auf exakt 100 GP-Starts zurückblicken können. Es kam anders: Als Stewarts Freund und Team-Kollege, der als Tyrrell-Kronprinz aufgebaute Franzose Francois Cevert, während des Trainings für den finalen Lauf in Watkins Glen tödlich verunglückte, verzichtete der Schotte aus Gründen der Trauer auf den Start. Nach seinem offiziellen Rücktritt als aktiver Pilot schenkte er seiner Frau Helen ein prächtiges Collier: Drei Diamanten symbolisieren seine drei WM-Titel, 27 Brillanten die GP-Siege und 99 Perlen die letztlich doch nur 99 GP-Starts.

Mit Stewart verabschiedete sich auch Shell aus der Formel 1. Seit Beginn der F1-WM zählte der weltweit operierende Mineralölkonzern mit zu den Siegern. Ende 1971 hatte sich Shell von Lotus und BRM getrennt, Ende 1972 von Matra. Ein Jahr später endete dann auch die Partnerschaft mit Ferrari. Die berüchtigte erste Ölkrise brachte das Engagement der Mineralölgesellschaften im GP-Geschäft zum Erliegen.

Der sechsrädrige Tyrrell P34 gewann den Grand Prix von Schweden 1976. Der sechsrädrige Tyrrell P34 gewann den Grand Prix von Schweden 1976.

In jenen Jahren stagnierte die F1-Technik. Das Hauptaugenmerk lag auf dem Motoren-Sektor: Hier die Zwölfzylinder von Ferrari, dort die Phalanx der Ford-V8. Als Derek Gardner, der große F1-Konstrukteur der Epoche, gefragt wurde, wie sich die F1-Boliden entwickeln werden, erkannte er die Schwachstellen, ohne zu zögern: Schritte nach vorn, so sagte er klipp und klar, würden künftig auf dem Sektor der Aerodynamik gemacht. Er sollte recht behalten, doch noch war die Zeit für Quantensprünge auf diesem Gebiet nicht reif.

Zunächst aber schien ein völlig anderes Konzept die Formel 1 revolutionieren zu können. Tyrrell präsentierte 1976 den inzwischen legendären P34. Das auffällige Merkmal dieses Rennwagens: Er hatte sechs Räder - zwei herkömmliche Antriebsräder und vier vordere. Doch die gewünschten Erfolge blieben aus, auch wenn der Tausendfüßler einen Doppelsieg in Schweden herausfahren konnte.

Schon 1977 wurde erneut Neuland betreten: Im Juli brachte Renault das erste Auto mit Turbomotor an den Start. Zwangsbeatmete Antriebsaggregate hatte die Formel 1 zuletzt 1951 gesehen. Der gelbe Renault, pilotiert von Jean-Pierre Jabouille, fuhr zunächst hoffnungslos hinterher. Das 1.5-Liter-Motörchen war anfangs schwach, unzuverlässig und nur schwer fahrbar - das Turboloch des Vierzylinders machte Jabouille das Leben schwer. Mittelfristig gesehen befanden sich die Franzosen aber auf dem Erfolgsweg.

Parallel erfand Lotus-Chef Colin Chapman die Aerodynamik quasi neu: Sein Lotus 78 war eine wegweisende Konstruktion aus dem Windkanal. Seitliche Dichtleisten an den Wagenflanken reichten bis auf den Asphalt. Der am Unterboden des Typ 78 fließende Fahrtwind wurde durch diesen legalen Trick derart beschleunigt, dass Unterdruck entstand, der dem Rennwagen zusätzlich Anpressdruck verlieh und damit extreme Kurvengeschwindigkeiten erlaubte. Schon ein Jahr später war das neue Konzept derart ausgereift, dass Lotus-Pilot Mario Andretti den Meistertitel 1978 locker heimfuhr. Theoretisch konnte dem Amerikaner nur sein Teamkollege Ronnie Peterson gefährlich werden, doch der unterlag den Regeln einer klaren Stallregie, die ihm Angriffe auf Andretti untersagte. Als der Schwede der Nummer eins des Lotus-Teams in Zandvoort wieder einmal wie ein Schatten folgte, wurden die internen Spielregeln sichtbar. Ausgangs der berühmten Tarzan-Kurve verschaltete sich Andretti beim Beschleunigen und der brave Sekundant konnte das beinahe unvermeidliche Überholmanöver nur durch einen harten Tritt auf die Bremse verhindern...

Brabham versuchte, dem Schürzen-Lotus durch einen oberirdischen Trick Paroli zu bieten. Zu Saisonbeginn hatte der südafrikanische Konstrukteur Gordon Murray den BT46 auf die Räder gestellt, der aus aerodynamischen Gründen keinerlei Kühleröffnung besaß. Für moderate Öl- und Wassertemperaturen sollten Wärmeaustauscher-Kacheln dienen, die auf der Außenhaut des Rennautos platziert waren. Doch das System funktionierte nur in der Theorie - bereits bei Testfahrten vor dem ersten WM-Lauf kochte der Motor des BT46 regelmäßig über. Prompt mussten die - von den Aerodynamikern gehassten - Löcher in die Verkleidung geschnitten werden.