«Wer in Deutschland als Whistleblower an die Öffentlichkeit geht, ist Repressalien durch den Arbeitgeber fast schutzlos ausgeliefert. Obwohl Hinweisgeber*innen wie Edward Snowden, Antoine Deltour oder Chelsea Manning in der deutschen Öffentlichkeit ein hohes Ansehen genießen, verfügt Deutschland bisher über kein Whistleblower-Schutzgesetz. (…) Es besteht kein Zweifel – vom Whistleblowing profitiert die gesamte Gesellschaft. Nicht nur sorgen interne Hinweisgeber*innen in Unternehmen oder Verwaltungen immer wieder dafür, dass echte gesundheitliche Gefahren von der Allgemeinheit abgewendet werden, die Aufdeckung von Steuer- und Korruptionsskandalen hat auch Milliarden an Steuergeldern in öffentliche Kassen gespült.»
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«Der Wille der EU ist klar: Whistleblower sollen geschützt werden, völlig unabhängig davon, in welchem Bereich sie Missstände aufdecken. Zwar kann die Richtlinie den Whistleblower-Schutz nur mit Bezug auf Verstöße gegen das EU-Recht verpflichtend machen, es heißt aber im Gesetzestext ausdrücklich, dass die Mitgliedstaaten diesen Whistleblower-Schutz auf andere Rechtsbereiche ausdehnen können. Eine solch explizite Aufforderung an Mitgliedstaaten, eine weitergehende Regelung in Betracht zu ziehen, ist ein durchaus ungewöhnliches, starkes Zeichen.»
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«In einem ersten Eckpunktepapier, das kürzlich an die anderen Ministerien verschickt wurde, schlägt das Justizministerium die Umsetzung der Richtlinie in Form eines allgemeinen Whistleblower-Schutzgesetzes vor, das für alle Rechtsbereiche gilt, egal ob europäisches oder nationales Recht. (…) Alles andere würde laut Justizministerium zu absurden Ergebnissen führen, etwa dass das Whistleblowing zur Meldung von Verbraucherschutzverstößen geschützt wäre, nicht aber zur Aufdeckung schwerer Straftaten. Für die Betroffenen sei es nicht nachvollziehbar, wenn sie nur dann vor Repressalien geschützt werden, wenn der Rechtsverstoß, den sie melden, auf das Europarecht zurückzuführen ist.»
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«Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist offenbar fest entschlossen, den Whistleblower-Schutz durch kleinliche Verweise auf die Unterschiede zwischen europäischer und deutscher Gesetzgebungskompetenz zu sabotieren. (…) Jegliche Empfehlungen des Justizministeriums, die auf ein allgemeines Whistleblower-Schutzgesetz hinweisen, wurden durch das Wirtschaftsministerium in der Ressortabstimmung gestrichen.»
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«Mit dieser an Arbeitsverweigerung grenzenden Einstellung sieht das Wirtschaftsministerium die Verantwortung des deutschen Gesetzgebers also darin, das absolute Mindestmaß dessen umzusetzen, wozu es durch die EU-Gesetzgebung ohnehin gezwungen ist. Wenn ein Rechtsbereich in nationale Kompetenz fällt, dann sollen Whistleblower, die etwa über Missstände im Gesundheitswesen aufklären, keinerlei Schutz erhalten. Offensichtlich sieht die CDU im Whistleblower-Schutz keinen Dienst an der Gesellschaft, sondern ausschließlich eins: eine Gefahr für die Interessen von Unternehmen.»
«Die Strategie, den Whistleblower-Schutz in der Praxis unanwendbar zu machen, beruht vor allem auf Verwirrung und Abschreckung: Wer ist schon ohne umfassende juristische Ausbildung in der Lage zu beurteilen, ob eine bestimmte Rechtsverletzung auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie zurückzuführen ist oder nicht? Das ist eine Unterscheidung, die selbst für geschulte Jurist*innen nicht immer ganz einfach ist, und sich obendrein regelmäßig ändert.»