«Eine Arbeitsgruppe um Danielle Miller von der Tel Aviv University kam zum Beispiel bei einer Analyse in Israel zu dem Schluss, dass dort 90 bis 99 Prozent der [SARS-CoV-2]-Infizierten an lediglich 20 Prozent der Neuinfektionen beteiligt waren. Auf eine ähnliche Größenordnung kam bereits im April eine chinesische Arbeitsgruppe.»
«Sars-CoV-2 ist keineswegs der einzige Krankheitserreger mit Superspreading, man kennt dieses Verhalten schon lange als 20/80-Regel bei sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV oder Gonorrhoe: 20 Prozent der Infizierten verursachen 80 Prozent der Neuansteckungen. Neben den Coronaviren von Sars und Mers gehört aber auch zum Beispiel Ebola in diese Gruppe. Laut einer Analyse an 152 mit Ebola infizierten Personen in Guinea steckten dort 72 Prozent der Betroffenen keine einzige weitere Person an. Umgekehrt liefen sich die meisten der über 20 bekannten Ebolaausbrüche nach relativ wenigen Ansteckungen wieder tot.»
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«Intuitiv würde man annehmen: Wenn die Reproduktionszahl 2 ist, steckt ein großer Teil der Infizierten auch etwa zwei weitere Personen an. (…) Es gibt Viren, die sich so verhalten, etwa die Grippe. Tatsächlich aber kann die gleiche Reproduktionszahl auch auf völlig andere Weise zu Stande kommen. (…) Es gibt viel weniger Infizierte, die zwei oder mehr Menschen anstecken, als solche, die niemanden anstecken. Einige geben das Virus dafür aber gleich an 20, 30 oder gar 50 andere Menschen weiter – die Superspreader.»
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«Wie ein Team um Benjamin Althouse von der University of Washington in Seattle in einer Veröffentlichung Ende Mai schrieb, ist es vergleichsweise leicht, die Reproduktionszahl des Virus drastisch abzusenken. Wer seine Kontakte auf fünf oder sechs Menschen beschränkt, kann nicht mehr 20 andere anstecken. Gegen ein Virus, bei dem die Mehrzahl zwei oder drei andere ansteckt, bringt das nicht viel – doch wenn die Mehrzahl der Neuansteckungen durch Superspreading geschieht, verhindert man so einen großen Teil von ihnen.»
«Wie effektiv diese Strategie beim Coronavirus ist, zeigen die Erfahrungen in Deutschland ebenso wie die israelische Studie. Sobald die Menschen begannen, ihre Kontakte zu reduzieren, sank die Reproduktionszahl sehr schnell auf nahe eins.»
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«Ist die Reproduktionszahl 1,1 und man hat in einer Region 20 Infizierte, ist die Wahrscheinlichkeit etwa 15 Prozent, dass das Virus dort von selbst verschwindet, wenn es nicht von woanders wieder eingeschleppt wird. (…) Aus diesem Grund ist Social Distancing auch bei wenigen Infizierten immer noch wichtig, wie die regelmäßig auftretenden Superspreader-Ereignisse in Deutschland zeigen wie die insgesamt sinkenden Fallzahlen. Funktioniert diese Unterdrückung nicht mehr, kommt das Virus zurück – und zwar nicht etwa langsam, sondern dank der Superspreader mit Schwung.»
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«Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, durch rein statistische Schwankungen auszusterben, bei solchen Viren besonders hoch. Wenn zum Beispiel 70 Prozent der Infizierten niemanden anstecken, ist die Chance, überhaupt jemanden anzustecken, auch in der nächsten Generation nur 30 Prozent. Das heißt, auch bei jenen, die eine oder zwei weitere Personen anstecken, ist die Chance groß, dass diese weiteren Infizierten ihrerseits Sackgassen für das Virus sind. Das gilt allerdings nur, wenn es kein Superspreader-Ereignis gibt.»
«Verhindert man die, sinkt die Reproduktionszahl drastisch, und das Virus verschwindet womöglich nach und nach.»