«Das erste Fax kam im August. Der Absender drohte Başay-Yıldız, ihre kleine Tochter zu ‹schlachten›. Er nannte den Namen der Zweijährigen und auch die Wohnadresse der Familie. Der Brief war mit NSU 2.0 unterzeichnet. Bei der Suche nach dem Urheber stieß die Polizei auf fünf Frankfurter Polizisten, die sich in einem Chat Hakenkreuze und Hitlerbilder schickten. Die Ermittler fanden heraus, dass in der Polizeiwache – ohne nachvollziehbaren Grund – die Daten von Seda Başay-Yıldız abgefragt worden waren.»
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«Nun ist wieder ein Fax bei Başay-Yıldız angekommen – obwohl die Polizisten aus der Frankfurter Wache vom Dienst suspendiert sind. Und dieser Brief stützt sich wieder auf interne Daten aus dem Polizeicomputer. Er nennt den Namen von Başay-Yıldız' Vater, ihrer Mutter, ihres Mannes, ihrer Tochter – aller Menschen, die unter ihrer Adresse gemeldet sind.»
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«[Der] Brief bezieht sich klar auf die Suspendierung der Frankfurter Polizisten. ‹Dir hirntoten Scheißdöner ist offensichtlich nicht bewusst, was du unseren Polizeikollegen angetan hast! Allerdings kommt es jetzt richtig dicke für dich, du Türkensau! Deiner Scheiß (Name der Tochter) reißen wir den Kopf ab … und der Rest eurer Dönercrew wird ebenfalls kompetent betreut werden.› Wieder steht am Ende: NSU 2.0.»
«In dem Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die mit dem Tod bedroht wird, gibt es nach Informationen der Süddeutschen Zeitung neue Hinweise darauf, dass der oder die Täter aus der Polizei stammen. Grundlage des Verdachts sind weitere Drohschreiben, welche die Juristin erhalten hat. Von diesen jüngsten Drohungen war bislang öffentlich nichts bekannt. In ihnen verwenden die Täter besondere Ausdrücke, die nach Ansicht der Psychologen des hessischen Landeskriminalamts auf Insiderwissen aus der hessischen Polizei hindeuten.»
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«Eine Beamtin des Frankfurter Polizeireviers 1 hatte ohne dienstlichen Grund die Daten der Anwältin Başay-Yıldız an einem Polizeicomputer abgerufen. Über eine Chatgruppe auf ihrem Handy waren die Ermittler auf weitere Kollegen gestoßen. (…) Eine zweite Abfrage der persönlichen Daten der Anwältin über einen Polizeicomputer habe es nicht gegeben, heißt es aus Sicherheitskreisen. Man gehe davon aus, dass die Daten der ersten Abfrage innerhalb rechtsextremer Gruppen kursieren.»
«Die beiden Mails an Wissler stammen aus dem Februar. Sie enthalten üble Beschimpfungen und Drohungen und sind gespickt mit rechtsextremen Bezügen. So verwendet der Absender die Nazi-Grußformeln ‹Sieg Heil› und ‹Heil Hitler›. Er beschimpft die Politikerin und droht Wissler einen ‹Tag X› an, an dem die Polizei sie nicht beschützen werde. Es ist bekannt, dass manche rechtsterroristischen Gruppierungen sich auf einen ‹Tag X› vorbereiten, an dem sie gewaltsam die Macht an sich reißen und ihre Gegner angreifen wollen. Teilweise wurden Waffen- und Sprengstoffverstecke solcher Terrorgruppen ausgehoben. (…)»
«Der Autor der Schreiben an Wissler unterstreicht die Drohung, indem er persönliche Daten von ihr verwendet, die nicht öffentlich zugänglich sind. (…) In den Schreiben an die Landtagsabgeordnete erweckt der Täter den Eindruck, dass er dem Polizeiapparat angehöre. So spricht er von angeblich innerdienstlichen Erkenntnissen und beschimpft eine Gruppe von Beamten, die sich in einer internen Aufklärungsgruppe mit rechtsextremen Vorfällen bei der hessischen Polizei befassen. Ob er tatsächlich über Insiderkenntnisse verfügt und wirklich Polizist ist, geht aus den Schreiben aber nicht hervor.»
«Die Serie der rechtsextremistischen Drohungen gegen die Linken-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Janine Wissler, reißt nicht ab. Nachdem die Frankfurter Rundschau am Samstag über die Morddrohungen gegen Wissler berichtet hatte, ging ein weiteres Schreiben bei ihr ein, das erneut mit ‹NSU 2.0› unterschrieben war, wie die FR erfuhr.»
«Die Todesdrohungen gegen Wissler sind vermutlich durch Abfragen von einem Dienstcomputer der Polizei vorbereitet worden. Das haben Recherchen der FR zutage gefördert. Danach wurden im Februar von einem Polizeicomputer in Wiesbaden private Daten der Linken-Fraktionsvorsitzenden im Hessischen Landtag abgefragt. Kurz darauf erhielt Janine Wissler zwei Schreiben mit Beschimpfungen und Drohungen, die solche persönlichen Daten enthielten, die öffentlich nicht zugänglich sind.»
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«Die Fälle der Linken-Politikerin und der Frankfurter Anwältin sind nicht die einzigen, in denen das polizeiliche Auskunftssystem missbräuchlich genutzt wurde. So hatte ein Polizist aus Dieburg Informationen aus dem Polizeisystem abgefragt und an eine Frau aus der Neonazi-Kameradschaft ‹Aryans› weitergegeben. Der Mann wurde wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer Geldstrafe verurteilt.»
«Trotz Kritik will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) keine Studie zu Racial Profiling bei Polizeikontrollen in Auftrag geben – und sieht dort auch keinen strukturellen Rassismus. ‹Wir haben kein strukturelles Problem diesbezüglich›, sagte er im ARD-Morgenmagazin und beklagte, dass es ständig Kritik an der Polizei gebe, ‹zum Teil auch Verunglimpfung›. Dabei werde übersehen, dass im öffentlichen Dienst null Toleranz gelte und Rassismus entschieden bekämpft werde, sagte der Minister und fügte mit Blick auf die Studie hinzu: ‹Jetzt nicht. Wir können nicht jede Woche ein Wünsch-dir-was spielen.›»
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«Damit bleibt Seehofer bei seiner Linie – stellt sich damit aber auch unmissverständlich gegen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die auf einer Studie zu Racial Profiling besteht. ‹Es geht überhaupt nicht darum, irgendjemanden unter einen Generalverdacht zu stellen. Sondern es geht darum, einfach Sachstand zu ermitteln und zu wissen, wo wir stehen und wie wir auch gegensteuern können›, sagte sie.»
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«Auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisierte Seehofers Entscheidung. Der Minister erweise den Sicherheitsbehörden einen Bärendienst, sagte der Vorsitzende Sebastian Fiedler in den ARD-tagesthemen. ‹Wer die Lage nicht kennt, kann sie nicht bewältigen. (…) Ich verstehe nicht, warum dieser uralte polizeiliche Grundsatz ausgerechnet dann nicht gelten soll, wenn wir selbst betroffen sind›, sagte Fiedler dazu.»